Ver­netzte Chancen? Nut­zungs­motive sozialer Medien

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Ver­netzte Chancen? Nut­zungs­motive sozialer Medien

Dr. Monika Rosenbaum von der IN VIA AKa­demie stellt das For­schungs­projekt zur Social-​Media-​Nutzung durch aus­ge­grenzte Jugend­liche vor. Eine erste Kon­se­quenz: Es gilt Ideen für Unter­stützung junger Flücht­linge zu entwickeln.

Warum ein For­schungs­projekt zu Social media?

Die Nutzung von Social Media durch Jugendlich ist bereits seit län­gerem ein gesell­schaft­liches Thema. In der Jugend­so­zi­al­arbeit ver­fügen viele Fach­kräfte über ein geschärftes Pro­blem­be­wusstsein im Blick auf ver­netzte Medien und suchen oft nach Mög­lich­keiten, die Nutzung zu begrenzen. Viel sel­tener kommt es zu Gesprächen über Chancen, die junge Men­schen durch Social Media gewinnen könnten, z.B. das eigene Über­leben zu sichern, sich Rat und Unter­stützung zu holen, Kontakt zu halten oder neue Per­spek­tiven zu eröffnen.

Das For­schungs­projekt ist explo­rativ angelegt. Es beschreibt Nut­zungs­formen in ver­schie­denen Feldern der Jugend­so­zi­al­arbeit, sys­te­ma­ti­siert sie und wertet sie aus. Neben dem bes­seren Ver­ständnis „unserer“ Jugend­lichen geht es auch um die Ent­wicklung neuer Qua­li­fi­zie­rungs­an­gebote, damit Mit­ar­beiter und Mit­ar­bei­te­rinnen die sozialen, mobilen Medien auch als wert­volle Res­source statt vor allem als Bedrohung anerkennen.

Das Projekt der IN VIA Aka­demie ist ver­ortet im Kontext ver­band­licher Jugend­so­zi­al­arbeit, ver­knüpft inno­vative Ansätze mit zufällig ent­stan­denen Prak­tiken und wird mög­liche neue Ansätze über das Netzwerk der Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaft Katho­lische Jugend­so­zi­al­arbeit (BAG KJS) e. V. ver­breiten. Durch Pro­jekt­do­ku­men­tation und neue Fort­bil­dungs­an­gebote werden Fach­kräfte unter­stützt, jen­seits der üblichen Themen wie Medi­en­sucht und Ver­schuldung auch die Chancen von Social Media für benach­tei­ligte Jugend­liche zu sehen und sich in der Arbeit positiv darauf zu beziehen. Das Projekt trägt damit bei zur Ent­wicklung einer Digi­talen Agenda gegen soziale Exklusion.

Obdach­lo­sigkeit ist nicht alles: Nut­zungs­motive sozialer Medien

Zwar ist die eigent­liche Nutzung von Social Media durch benach­tei­ligte Jugend­liche in Deutschland kaum erforscht, die Lite­ra­tur­re­cherche in der ersten Pro­jekt­phase führte aber zu auf­schluss­reichen Bei­trägen aus dem eng­lisch­spra­chigen Raum, wie hier am Bei­spiel Obdach­lo­sigkeit gezeigt:

Yost (2012) weist darauf hin, dass obdachlose Nut­ze­rInnen sozialer Medien vor allem Facebook nutzen, aller­dings nicht unbe­dingt dazu um sich „als Obdachlose“ Gehör oder Sicht­barkeit zu ver­schaffen. Sie nutzen Facebook vor allem als Mög­lichkeit soziale Ver­bin­dungen auf­recht­zu­er­halten. Wichtig ist auch das Gefühl der Unter­stützung durch die Gruppen, mit denen sie online im Aus­tausch stehen. Einen wei­teren wich­tigen Aspekt bildet die Mög­lichkeit, die eigene Dar­stellung zumindest in dieser begrenzten Öffent­lichkeit zu kon­trol­lieren, sich eben nicht als in erster Linie obdachlos, sondern als Musikfan, Gitar­ren­spieler, … zu präsentieren.

Auch Eyrich-​Garg findet in einer kleinen, nicht reprä­sen­ta­tiven Unter­su­chung, dass auf der Straße lebende Obdachlose Facebook nutzen, um den Kontakt zu ihren Familien auf­recht zu erhalten (Eyrich-​Garg 2011: 301f) und Rice, Lee und Taitt (2011) bestä­tigen, dass der Kontakt zu Familien, der über v.a. Facebook auf­recht­erhalten wird, sich besonders in Kri­sen­zeiten sta­bi­li­sierend und letzt­endlich gesund­heits­för­dernd auswirkt.

Diese Bei­spiele sind der Lite­ratur ent­nommen, aber wir hoffen, im Sommer 2016 eigene Bei­spiele aus ver­schie­denen Feldern der der Jugend­so­zi­al­arbeit vor­stellen zu können, die die Spann­breite mög­licher Nut­zungen auch bei uns zeigen. Sehen, was ist – das ist die Aufgabe dieses For­schungs­pro­jekts, denn nur so lassen sich die Aus­wir­kungen der Media­ti­sierung jugend­licher über­tragen in mög­liche neue Ansätze der Jugendsozialarbeit.

Exkurs: Vernetzt_​öffentlich_​aktiv: Auch für junge Flücht­linge? (k)eine Buchbesprechung)

Die Bilder und Zahlen zu den großen Flücht­lings­gruppen, die aktuell nach Deutschland kommen, noch vor Augen, nehme ich einen schmalen Tagungsband zum Thema „Mobile Medien in der Lebenswelt von Jugend­lichen“ zur Hand. Das JFF – Institut für Medi­en­päd­agogik in For­schung und Praxis – ver­an­staltet jährlich eine inter­dis­zi­plinäre Tagung und die ver­öf­fent­lichten Tagungs­bände geben einen guten Über­blick über aktuelle Medi­en­themen, wie auch der achte Band der Reihe unter dem Ober­titel „vernetzt_​öffentlich_​aktiv“ (Wagner 2014).

Die Bei­träge dieses Bandes lesen sich aber mit dem Fokus „Flücht­linge“ plötzlich ganz anders: Bedeutung mobiler Medien für die Aneignung des öffent­lichen Raumes, Bedeutung mobiler Medien als Sozia­li­sa­ti­ons­be­dingung, Rolle von Selfies für die Ent­wick­lungs­auf­gaben von Her­an­wach­senden, Daten­schutz, Ver­brau­cher­schutz… All das scheint mir auch für die vielen jungen Flücht­linge und damit auch für die Jugend­so­zi­al­arbeit von hoher Relevanz.

Zuerst eine Beob­achtung: Das Internet ist, besonders auch über Smart­phones, für viele Flücht­linge zum Flucht­helfer und dann längst auch zu einem unver­zicht­baren Bestandteil ihres Lebens geworden und einige Kom­munen, Vereine und private Initia­tiven haben bereits darauf reagiert: So bietet die Stadt Münster in ersten Unter­künf­tigen kos­ten­loses WLAN an und manche Freifunk-​Initiativen stellen gezielt kos­ten­loses WLAN für Flücht­lings­un­ter­künfte zur Ver­fügung. Es gibt spe­zielle App-​Angebote für Flücht­linge, wie z.B. in Witten oder Berlin, und in Berlin exis­tiert sogar schon eine ganze Reihe von Flücht­lingen selbst orga­ni­sierter Internetcafés.

Das ist nicht ver­wun­derlich, denn das Internet erlaubt es, die Situation in der Heimat zu beob­achten, den Kontakt zu Freunden und Ver­wandten auf­recht­zu­er­halten oder sich unterwegs bzw. am neuen Auf­ent­haltsort zu ori­en­tieren. Recht­liche Themen, Hilfe bei der Über­setzung aber auch Ablenkung, z.B. durch die Nutzung von Unter­hal­tungs­an­ge­boten in der Mut­ter­sprache sind weiter Aspekte der Inter­net­nutzung. Zugleich ist selbst bei diesen „ein­fachen Auf­gaben“ Vor­sicht geboten, denn Infor­ma­tionen können unvoll­ständig, gesteuert oder gefälscht sein, der Inter­net­zugang in der Heimat ist je nach Her­kunfts­region beein­trächtigt oder unmöglich, und nicht zuletzt kann „Daten­schutz“ unter den Bedin­gungen poli­ti­scher Ver­folgung über die Sicherheit von Leib und Leben entscheiden.

Dr. Monika Rosenbaum

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