Der Alltag von Jugendlichen in betreuten Wohnformen kann neben weiteren Herausforderungen, auch durch fehlende Selbstorganisation und geringe Eigeninitiative geprägt sein. An dieser Stelle können professionelle Jugendhilfeangebote eine wesentliche Unterstützung bieten. So zeigt sich aktuell, dass das Potenzial spezieller Verselbstständigungs-Apps trotz intensiver Smartphone-Nutzung weitgehend ungenutzt bleibt. Chancen zur Entwicklung autonomer Lebensführung bleiben somit unausgeschöpft.
Mission: Selbstständigkeit
In einer Kooperation zwischen Studierenden der Sozialen Arbeit der TH Köln und der Wohngruppe „Queere Vielfalt leben“ der Evangelischen Jugendhilfe Godesheim (EJG) wurde ein Workshopkonzept entwickelt und umgesetzt. Dieses verfolgte das Ziel, Jugendlichen alltagstaugliche Apps zur Selbstorganisation und Alltagsbewältigung näherzubringen und diese auf ihre Nutzen hin zu testen. Es wurde ein partizipatives Vorgehen gewählt, bei dem die Jugendlichen als Forschende aktiv einbezogen wurden.

„Queere Vielfalt leben“ ist ein Angebot der EJG für LSBTQIA*+-Personen zwischen 14 und 21 Jahren, das neun junge Menschen in einem geschützten und stärkenden Zuhause intensiv in ihrem Verselbstständigungs- und Identitätsfindungsprozess begleitet.
Von der Idee zum Klick
Vier Jugendliche aus der Wohngruppe nahmen an dem 90-minütigen interaktiven Workshop teil, der in mehreren aufeinander aufbauenden Phasen strukturiert war. Nach einem kurzen Einstieg mit Kennenlernen sowie dem Erklären der Einverständniserklärung und der Workshopziele füllten die Jugendlichen einen ersten Fragebogen zu ihrer App-Nutzung und Alltagsorganisation aus. Warm-ups sorgten für Bewegung und lockeren Austausch über digitales Nutzungsverhalten, während Mentimeter-Abfragen der anonymen Erfassung von Meinungsbildern zu Selbstständigkeit und Herausforderungen im Alltag dienten. Wichtiger Bestandteil war der Input zu digitaler Sicherheit, der relevante Aspekte wie Cookies, die Zwei-Faktor-Authentisierung, die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und den Umgang mit Passwörtern und Datenschutzinfos behandelte und didaktisch aufbereitet wiedergab.
Im Anschluss folgte die Vorstellung der Apps Todoist, Tody, Flatastic und Structured. Todoist ist eine kostenfreie Aufgabenverwaltungs-App, die helfen soll, To-Do-Listen zu organisieren und produktiver zu werden. Sie lässt sich sowohl für Privatpersonen als auch für Teams einsetzen und wirbt mit einer intuitiven Bedienoberfläche und einem klaren Design. Tody ist eine spezialisierte App für die Haushaltsorganisation und Putzplanung, die dabei unterstützen soll, Aufgaben systematisch und spielerisch zu planen und den Überblick über die Reinigungszyklen zu behalten. Flatastic wird als eine WG- und Haushalts-App beworben, die speziell für das Zusammenleben in Wohngemeinschaften, Familien oder Paarhaushalten entwickelt wurde. Structured ist eine Tagesplaner-App, die durch die einfach zu überblickende Oberfläche für Menschen mit ADHS oder Autismus entwickelt wurde. Sie vereint Kalender, Todo-Liste und Habit-Tracker in einer zentralen Timeline.
Abschließend wurden die Jugendlichen eingeladen, eine der Apps für eine Woche im Alltag zu nutzen und dabei kurze tägliche Fragen digital zu beantworten sowie am Ende einen Reflexionsfragebogen auszufüllen. Die Resonanz auf den Workshop war positiv: Die Teilnehmenden bewerteten ihn als interessant und bereichernd. Zwei der vier Jugendlichen absolvierten die Testwoche und setzten die praktische App-Erprobung konsequent um. Dabei wurde in den abschließenden Reflexionsfragebögen davon berichtet, dass die Apps zwar ursprünglich sporadisch genutzt wurden, jedoch zur Wochenstrukturierung beigetragen hätten. Die Teilnehmenden fühlten sich organisierter und hatten eine bessere Vorstellung von den zu erledigenden Alltagsaufgaben.
App-solut zukunftsfähig – nachhaltig, praxisnah, übertragbar
Eine gut recherchierte App-Auswahl, grundlegende Informationen zum sicheren Umgang mit Apps und eine gemeinsame Evaluation der Erfahrungen haben wesentlich zum Gelingen des Projektes beigetragen. Zwei weitere wesentliche Faktoren stellten zudem die konstruktive Zusammenarbeit der Studierenden mit den Fachkräften und die aktive Beteiligung und Offenheit der Jugendlichen dar. Die Integration von Memes und spielerischen Ansätzen trug erheblich zur partizipativen und lebendigen Gestaltung des Workshops bei und verhinderte eine rein theoretische Wissensvermittlung.

Im Verlauf der Testphase nannten die Jugendlichen, dass sie einen Mehrwert in den digitalen Anwendungen für ihre Alltagsorganisation sähen und kamen zu dem Schluss, sich planungssicherer zu fühlen. Die nachhaltige Wirkung des Projekts spiegelt sich in der Absicht der Jugendlichen wider, die Apps auch langfristig für ihre Selbstorganisation zu nutzen.
Das Ergebnis des Projekts liegt in Form eines ausführlichen Workshop-Konzepts vor, welches strukturierte Bausteine, erprobte Abläufe und vielfältige Materialien umfasst. Der Workshop sensibilisierte die Jugendlichen für die Herausforderungen der Alltagsorganisation und eröffnete ihnen Einblicke in die unterstützenden Werkzeuge, die sie kritisch erproben und teils konstruktiv für sich in Dienst nehmen konnten. Zudem erwies es sich als bereichernd für die Einrichtungskonzeption, über digitale Sicherheit zu reflektieren und die diesbezüglichen Wissensbestände zu explorieren. Die erarbeiteten Materialen lassen sich mit etwas Erfahrung in der Anwendung und Erstellung von PowerPoint auch für andere Einrichtungen modellieren und nutzen. Lediglich die Aneignung von Wissensbausteinen über digitale Sicherheit sollte im Vorfeld stattfinden und erprobt werden, um diese sicher vermitteln zu können.