Psy­chische Gesundheit im Schul­alltag: Das Modell­pro­gramm Mental Health Coaches

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Psy­chische Gesundheit im Schul­alltag: Das Modell­pro­gramm Mental Health Coaches

„Mentale Gesundheit ist derzeit ein zen­trales Thema für Schulen und Schüler*innen, doch häufig fehlen wichtige nied­rig­schwellige Prä­ven­ti­ons­an­gebote. Besonders positiv bewertet werden die zusätz­lichen Per­so­nal­stellen sowie die hohe Fle­xi­bi­lität der Mental Health Coaches“, sagt Prof. Dr. Julian Schmitz, Uni­ver­sität Leipzig.

Das Deutsche Schul­ba­ro­meter zeigt, dass etwa jede*r fünfte Schüler*in psy­chische Auf­fäl­lig­keiten sowie ein geringes schu­li­sches Wohl­be­finden auf­weist. Rund ein Viertel der Befragten berichtet zudem von einer nied­rigen Lebens­qua­lität und bewertet den Unter­richt als unzu­rei­chend. Auch län­ger­fristige Erhe­bungen ver­deut­lichen eine Ent­wicklung: Zwi­schen 2007 und 2022 haben psy­chische Erkran­kungen und Belas­tungen zuge­nommen, während das psy­chische Wohl­be­finden deutlich zurück­ge­gangen ist (McGorry et al. (2024): The Lancet Psy­chatry, 11 (9), 731–774). Auch die Schulen sehen hier wach­senden Hand­lungs­bedarf. Laut der Cornelsen-​Schulleitungsstudie 2025 hat das Thema Gesundheit seit 2023 stark an Bedeutung gewonnen; nahezu alle befragten Schul­lei­tungen wün­schen sich mehr mul­ti­pro­fes­sio­nelle Unter­stützung, um den psy­chi­schen Belas­tungen ihrer Schüler*innen besser begegnen zu können. Psy­chische Belas­tungen junger Men­schen sind kein Ein­zelfall – sie sind struk­turell, viel­schichtig und längst Teil des schu­li­schen Alltags.

Das Modell­vor­haben Mental Health Coaches

Um dieser Ent­wicklung zu begegnen, hat das Bun­des­mi­nis­terium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) im Schuljahr 2023/​24 das Modell­vor­haben „Mental Health Coaches“ (MHC) gestartet, als Teil des Zukunfts­pakets für Bewegung, Kultur und Gesundheit (die Finan­zierung ist derzeit lediglich bis Ende des Haus­halts­jahres 2025 gesi­chert). Über 100 Schulen an mehr als 80 Stand­orten nehmen teil. Ziel ist es, nied­rig­schwellige Unter­stützung in den Schul­alltag zu bringen, Stig­ma­ti­sierung abzu­bauen und Resi­lienz zu fördern.

Die wis­sen­schaft­liche Eva­luation durch die Uni­ver­sität Leipzig zieht eine positive Bilanz: 90 Prozent der Betei­ligten wün­schen sich eine Fort­setzung, über 80 Prozent der Schul­lei­tungen loben Akzeptanz und Qua­li­fi­kation der Coaches. Die befragten Schüler*innen bewer­teten die Angebote der „Mental Health Coaches“ als eher gut bis sehr gut. Neun von zehn Schüler*innen, die ein Angebot wahr­ge­nommen hatten, würden dies ein wei­teres Mal tun.

Fach­liche Expertise und Arbeitsweise

Die Mental Health Coaches kommen aus den Bereichen der Sozi­al­arbeit, Psy­cho­logie oder Erzie­hungs­wis­sen­schaften. In ver­pflich­tenden Basis­qua­li­fi­zie­rungs­pro­grammen und Fort­bil­dungs­pro­grammen erweitern die Fach­kräfte ihre Expertise im The­menfeld mentale Gesundheit, erhalten Hand­lungs­im­pulse für ihre Arbeits­praxis an Schulen und erwerben zusätz­liche Kennt­nisse zum Bei­spiel zur Gesprächs­führung, digital well­being und Classroom Management. Sie arbeiten bedarfs­ori­en­tiert und prä­ventiv. Die Bedarfe werden in Team­ge­sprächen mit den Akteur*innen der Schule und im Aus­tausch mit den Schüler*innen fest­gelegt. Auf dieser Grundlage gestalten die Fach­kräfte nied­rig­schwellige Maß­nahmen, mit denen sie auf die Belas­tungen und Sorgen der Kinder und Jugend­lichen reagieren. Sie führen Grup­pen­an­gebote (Work­shops, Gesprächs­kreise, kleine Arbeits­ge­mein­schaften, Angebote mit unter­schied­lichen metho­di­schen Ansätzen wie der Kunst‑, Theater- oder Erleb­nis­päd­agogik) eigen­ständig durch oder arbeiten mit externen Anbietern aus der Jugend­arbeit mit ent­spre­chender Expertise zusammen. Diese prä­ven­tiven Grup­pen­an­gebote haben den Anspruch, Kindern und Jugend­lichen nach­haltig Lebens­kom­pe­tenzen zu ver­mitteln und Struk­turen sichtbar zu machen, die ihnen Unter­stützung und Hilfe bieten.

Künst­le­rische Formate als Türöffner

Kreative und künst­le­rische Ansätze erweisen sich als besonders wir­kungsvoll, wenn es darum geht, Jugend­lichen Zugänge zu ihren Gefühlen und Belas­tungen zu eröffnen. Formate wie Theater, Musik oder Bil­dende Kunst schaffen Räume, in denen junge Men­schen neue Aus­drucks­formen ent­decken, Selbst­wirk­samkeit erleben und Hemm­schwellen im Umgang mit psy­chi­scher Gesundheit über­winden können. Ein kunst- oder musik­päd­ago­gisch ange­lei­teter Workshop zeigt den Teil­neh­menden, dass kreative Pro­zesse als Ventil dienen und ent­lastend wirken können. So ent­decken sie unter­schied­liche Wege, ihre Stärken zu ent­falten, ent­wi­ckeln Stra­tegien im Umgang mit belas­tenden Gefühlen und gewinnen zugleich Ver­trauen, auch Angebote außerhalb der Schule zu nutzen. Viele berichten, dass es guttue, sich offen aus­tau­schen zu können und zu merken, dass es anderen ähnlich geht. Eine Schü­lerin aus Landshut beschreibt die Erfahrung: „Pro­bleme lösen sich manchmal durch eine andere Sicht­weise oder Gespräche mit Freunden. Nun fühle ich mich nicht mehr so allein mit meinen Sorgen und Ängsten.“

In einem Musik­workshop etwa ver­fassen Jugend­liche eigene Texte über ihre Ängste und Sorgen und bringen diese in Rap-​Form auf die Bühne. Das Schreiben und Vor­tragen fördert nicht nur die Aus­ein­an­der­setzung mit der eigenen Gefühlswelt, sondern trägt auch zum Abbau von Stigmata rund um psy­chische Belas­tungen bei. Auch bild­ne­rische Formate eröffnen neue Per­spek­tiven. Im Workshop „Wohl­fühlort Schule – Schönes tut gut“ gestalten Schüler*innen groß­for­matige Lein­wände, auf denen sie dar­stellen, was ihnen im Alltag Kraft gibt, und Aus­gleich ver­schafft. Die im Schul­ge­bäude prä­sen­tierten Werke machen das Thema mentale Gesundheit sichtbar und tragen dazu bei, die Schule als ver­trauten und unter­stüt­zenden Lebensort zu erleben.

Neben künst­le­ri­schen Ange­boten ent­falten auch kör­per­ori­en­tierte Formate wie Yoga oder Klettern positive Wirkung. Sie unter­stützen den Abbau von Stress, fördern Acht­samkeit und ermög­lichen Grenz­erfah­rungen. Ergänzend zeigen Pro­jekte zu gesunder Ernährung – etwa „Feel-​Well-​Buffets“ oder die gemeinsame Gestaltung von Pau­sen­boxen – auf, wie Ernährung und Wohl­be­finden zusam­men­hängen. Eine Schü­lerin aus Hei­li­gen­stadt berichtet: „Ich hab mich danach so gut gefühlt, ich bin schon um 19:18 Uhr ein­ge­schlafen und erst 6:22 Uhr auf­ge­wacht, weil meine Gedanken ruhig wurden und mein Geist sich im Körper so wohl gefühlt hat. Ich hab mich wie ein neuer Mensch gefühlt.“

Darüber hinaus ver­mitteln die Work­shops Grund­la­gen­wissen zur Psy­cho­edu­kation. Jugend­liche erfahren, wie Gefühle ent­stehen, welche Reak­tionen auf Stress normal sind und welche Mög­lich­keiten der Ent­lastung es gibt. Sie erhalten kon­krete Anre­gungen, zum Bei­spiel mit dem erhöhten Stress­auf­kommen in der Schule aktiv umzu­gehen und erlernen Ansätze (Acht­sam­keits­prak­tiken, Atem­übungen, Ver­trau­ens­übungen), die sie in ihrem Alltag auch außerhalb der Schule gut für sich nutzen können.

Nach zwei Jahren Modell­laufzeit zeigt sich: Das Pro­gramm wirkt! Es schließt eine zen­trale Ver­sor­gungs­lücke im schu­li­schen Alltag, erreicht junge Men­schen nied­rig­schwellig und trägt maß­geblich zur Ent­ta­bui­sierung psy­chi­scher Gesundheit bei. Die breite Akzeptanz bei Schüler*innen, Lehr­kräften und Schul­lei­tungen unter­streicht den hohen Bedarf sowie die fach­liche Qua­lität der Arbeit der Mental Health Coaches. Schulen sind zen­trale Lebensorte, an denen Kinder und Jugend­liche über Jahre hinweg lernen, soziale Kon­takte knüpfen und ihre Per­sön­lichkeit ent­wi­ckeln. Sie bieten nicht nur Bildung, sondern auch Räume für Bezie­hungen und Ver­trauen – zu Gleich­alt­rigen wie zu Erwach­senen außerhalb der Familie. Als Orte der Prä­vention sollten Schulen deshalb stärker in die Gesund­heits­ver­sorgung ein­be­zogen werden. Durch die feste Anbindung gesund­heits­för­dernder Angebote an die Regel­struk­turen bleibt der Zugang für alle Kinder und Jugend­lichen nied­rig­schwellig und ver­lässlich gewähr­leistet. Um Kindern und Jugend­lichen ein gutes, gesundes Auf­wachsen auch in Zeiten mul­tipler Krisen zu ermög­lichen, braucht es eine ver­trau­ens­volle Grundlage und Kontinuität.

Autorin: Özlem Tokyay

Dieser Fach­ar­tikel ist eine Zweit­ver­öf­fent­li­chung des Bei­trags „Zum Ich kommen. Kultur, Bildung, Mental Health.“, erstmals erschienen im info­dienst – das Magazin für Kul­tu­relle Bildung, 157 (2025) des Bun­des­ver­bandes der Jugend­kunst­schulen und kul­tur­päd­ago­gi­schen Ein­rich­tungen e. V.

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