Empowerment Digital: Jugend­liche gestalten Medi­en­regeln im Internat

In einer Welt, die zunehmend von digi­talen Tech­no­logien geprägt ist, stehen Internate vor beson­deren Her­aus­for­de­rungen: Die bestehenden Medi­en­regeln sind ver­altet und restriktiv (vgl. DigiPäd 24/​7 2022). Das Projekt „Empowerment Digital“ ver­folgt das Ziel, diese Situation zu ver­bessern, indem es eine positive Ent­wicklung im Umgang mit digi­talen Medien fördert. Dabei hin­ter­fragt und reflek­tiert es den aktu­ellen Zustand und ent­wi­ckelt neue Regeln sowie Angebote, um die Medi­en­kom­petenz der Jugend­lichen nach­haltig zu stärken. Jugend­liche werden aktiv in die Ent­wicklung von Medi­en­regeln ein­be­zogen, um ihre Lebenswelt und teils bereits vor­handene digitale Expertise im Umgang mit Medien adäquat berück­sich­tigen und die Akzeptanz der Medi­en­regeln erhöhen zu können.

Ziele des Projekts

Das Kernziel des Pro­jekts ist die För­derung der Medi­en­kom­petenz der Jugend­lichen im Internat und damit zugleich ihrer Fähigkeit, Medien kri­tisch, kreativ und ver­ant­wor­tungs­be­wusst nutzen und Chancen sowie Risiken reflek­tieren zu können (vgl. Baacke 1997). Zudem wird es Jugend­lichen ermög­licht, ihre digitale Lebenswelt aktiv mit­ge­stalten zu können. Für die Betreuer*innen bedeutet dies nicht zuletzt, dass sie durch gemeinsam ent­wi­ckelte und akzep­tierte Regeln ent­lastet werden. Der Lösungs­ansatz basiert auf einem par­ti­zi­pa­tiven Workshop, in dem circa zehn Jugend­liche gemeinsam mit Stu­die­renden der TH Köln bestehende Regeln im Internat reflek­tieren, Bedarfe for­mu­lieren und kon­krete Ver­bes­se­rungs­vor­schläge erar­beiten. Dieser Prozess ist in sozi­al­ar­bei­te­ri­schen Prin­zipien des Empowerments und medi­en­päd­ago­gi­schen Ansätzen wie der Peer-​Education ver­ankert (vgl. Röll 2020).

Medi­en­regeln im Internat

Das Internat der Pri­vat­schule Carpe Diem in Bad Neuenahr-​Ahrweiler ist eine staatlich aner­kannte Ergän­zungs­schule in freier Trä­ger­schaft. Es kon­zen­triert sich auf die ganz­heit­liche Erziehung, Wer­te­ver­mittlung und indi­vi­duelle För­derung mit 24-​Stunden-​Betreuung. Die Klient*innen sind Kinder und Jugend­liche mit einem stark aus­ge­prägten Unter­stüt­zungs­bedarf, bei­spiels­weise auf­grund von Sozi­al­phobien oder Schulangst.

Die Ziel­gruppe des Pro­jekts sind 12- bis 20-​jährige Inter­nats­ju­gend­liche, deren Medi­en­nutzung sich nicht von der anderer Jugend­licher unter­scheidet (vgl. JIM-​Studie 2024) und ein zen­traler Bestandteil ihres Alltags sowie ihrer sozialen Teilhabe ist. Zum jet­zigen Zeit­punkt gibt es in der Pri­vat­schule Regeln zur nächt­lichen Abgabe der mobilen Geräte. Ein­heitlich nach Alter gestaffelt müssen die Kinder und Jugend­lichen ihre Geräte abends den Betreuer*innen über­geben. Morgens nach dem Früh­stück bekommen sie diese wieder. Dadurch werden nächt­liche Ruhe und Erholung ange­strebt. Zusätzlich gibt es für die Inter­nats­ju­gend­lichen medi­en­freie Zeiten, etwa beim Abend­essen oder bei gemein­samen Akti­vi­täten. In der Ver­gan­genheit wurden die Medi­en­regeln oft zur Bestrafung ein­ge­setzt. So diente der Medi­en­entzug als Sanktion bei Fehl­ver­halten wie Unpünkt­lichkeit oder man­gelnder Mit­arbeit. Diese Vor­ge­hens­weise zielte darauf ab, die Jugend­lichen zu bestimmten Ver­hal­tens­weisen zu moti­vieren, berück­sich­tigte jedoch oft nicht die Kom­ple­xität der Medi­en­nutzung im Alltag.

Jugend­liche reflek­tieren und erar­beiten Ideen für Medienregeln

Zur Erar­beitung eigener, päd­ago­gisch begründ­barer Medi­en­regeln, die an den Lebens­welten der Jugend­lichen anknüpfen, wurde ein zwei­stün­diger Workshop vor­be­reitet. Die Stu­die­renden, die den Workshop lei­teten, hatten sich intensiv mit Regeln und Richt­linien aus anderen Bil­dungs­ein­rich­tungen befasst. Dies ermög­lichte es ihnen, die Teil­neh­menden bei der Ideen­sammlung und bei Fragen während der Grup­pen­ar­beiten gezielt zu unter­stützen. Der Workshop selbst legte den Fokus auf inter­aktive Teil­nahme mittels digi­taler Echtzeit-​Umfragen und Grup­pen­ar­beiten. Leit­fragen waren unter anderem: Wie werden digitale Medien genutzt? Welche Regeln gibt es und wie sinnvoll sind sie bzw. welche fehlen? Welche neuen Regeln oder Angebote wären wün­schenswert? Die Schüler*innen prä­sen­tierten die Work­sh­op­er­geb­nisse anschließend dem päd­ago­gi­schen Team. Gemeinsam wurde besprochen, wie die Ergeb­nisse umge­setzt werden können. Dieser Prozess trägt dazu bei, das Selbst­ver­trauen und die Mit­be­stimmung der Kinder und Jugend­lichen zu fördern.

Zuerst wurde der Ist-​Stand der Regeln im Umgang mit Medien und Medi­en­nutzung im Internat mittels einer „Mentimeter-​Umfrage“ abge­fragt. Die Ergeb­nisse wurden prä­sen­tiert und gemeinsam besprochen. Anknüpfend daran wurden in Klein­gruppen erste Ideen für neue Medi­en­regeln ent­wi­ckelt und schriftlich aus­ge­ar­beitet. Nach der Prä­sen­tation und Dis­kussion der jewei­ligen Grup­pen­er­geb­nisse im Plenum, wünschten sich die Jugend­lichen, die Ergeb­nisse für ihren Inter­natsrat auf­zu­be­reiten und eine digitale Umfrage an die gesamte Schüler*innenschaft zu erstellen. Im Anschluss daran sollten die Erkennt­nisse dann dem päd­ago­gi­schen Team prä­sen­tiert werden.

Vor­aus­set­zungen zur Durch­führung des Workshops

Für die erfolg­reiche Durch­führung des Pro­jekts ist eine Kenntnis der Ein­richtung und somit auch der Regeln im Umgang mit Medien hilf­reich. Neben medi­en­päd­ago­gi­schem Hin­ter­grund­wissen braucht es einen Inter­net­zugang und digitale Tools zur Prä­sen­tation sowie für die Echtzeit-​Umfragen. Außerdem werden auch analoge Hilfs­mittel zur Sammlung und Dar­stellung eigener Ideen und Vor­schläge benötigt, wie bei­spiels­weise Flipcharts.

Erkennt­nisse des Workshops

Im Workshop dis­ku­tierten die Jugend­lichen enga­giert über die gel­tenden Medi­en­regeln und äußerten dabei ihre Kritik. Besonders die nach Alter gestaf­felte Abgabe der mobilen Geräte kam zur Sprache, da diese aus Sicht der Jugend­lichen die indi­vi­duelle Medi­en­kom­petenz nicht aus­rei­chend berück­sichtige. Darüber hinaus kri­ti­sierten sie das Ver­ständnis und die Art und Weise der Regel­durch­führung durch die Betreuer*innen: Sie for­derten, dass die Betreuer*innen auch selbst ihrer Vor­bild­funktion bei der Medi­en­nutzung im Internat gerecht werden sollten.

Die Kritik nahmen die teil­neh­menden Jugend­lichen zum Anlass, um eigene Vor­stellung zu Medi­en­regeln zu ent­wi­ckeln, die sich nicht auf ein gene­relles Medi­en­nut­zungs­verbot oder ein­ge­schränkte Medi­en­nutzung beschränkten, sondern auf einen kom­pe­tenten Umgang mit Medien abzielten. Dabei betonten sie neben all­ge­mein­gül­tigen Regeln auch die Not­wen­digkeit von indi­vi­du­ellen Lösungen.

Als Grund für die indi­vi­duelle Medi­en­nutzung wurde ins­be­sondere die indi­vi­duelle Medi­en­kom­petenz ange­führt. Betont wurde dabei die indi­vi­du­ellen Kennt­nisse und Bedürf­nisse der Kinder und Jugend­lichen in den Blick zu nehmen, da dies auch in anderen Gebieten bereits päd­ago­gi­scher Alltag im Internat sei. Zudem for­mu­lierten die Jugend­lichen die Idee eines zukünftig über einen Schüler*innen betreuten TikTok-​Kanal, der ergänzend zum bestehenden Instagram-​Kanal genutzt werden könnte. Dadurch könne sich im Rahmen des Internats kreativ in digi­talen Medien betätigt und gleich­zeitig die Ein­richtung nach Außen reprä­sen­tiert werden. Zudem werde auf diese Weise die Ver­selbst­stän­digung gefördert.

Medi­en­regeln nach­haltig etablieren

Das Ziel des Pro­jekts war es einer­seits, die Medi­en­kom­petenz der Jugend­lichen zu fördern, ande­rer­seits sollten sie auch in die Lage ver­setzt werden, sich aktiv in die Gestaltung der Medi­en­regeln im Internat ein­bringen zu können. Die Nach­hal­tigkeit des Pro­jekts liegt dabei in der Eta­blierung eines dyna­mi­schen Medi­en­kon­zepts im Internat, das sich – unter par­ti­zi­pa­tiver Mit­ge­staltung von Schüler*innen – kon­ti­nu­ierlich wei­ter­ent­wi­ckeln kann, z. B. durch die Insti­tu­tio­na­li­sierung eines solchen Work­shops in regel­mä­ßigen Abständen auch zu anderen Medi­en­themen. Indem Jugend­liche mit ein­be­zogen werden, kann einer­seits eine offene Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kultur gefördert und die Medi­en­kom­petenz der Jugend­lichen gestärkt werden. Gleich­zeitig werden Jugend­liche als Ver­ant­wort­liche ihrer eigenen Lebens­führung im Internat und im Umgang mit Medien adres­siert, sodass Mög­lich­keiten des Empowerments eröffnet werden. Der Mehrwert für die Betreuer*innen liegt dabei auf der Hand, da selbst geschaffene und reflek­tierte Regeln im Umgang mit Medien eine höhere Ver­bind­lichkeit nahe­legen. Dabei gilt es das über­ge­ordnete Ziel, digitale Teilhabe zu ermög­lichen, immer im Blick zu behalten. 

Ähnliche Beiträge